Dank bahnbrechender Fortschritte in der Produktion und Lebensmittelwissenschaft konnte die Agrarindustrie neue Wege entwickeln, um mehr Lebensmittel zu produzieren und sie schneller an mehr Orte zu bringen. Es gibt unzählige Meldungen über Hunderttausende von Hybridhühnern – jedes Tier genetisch identisch mit dem anderen –, die in Megaställen zusammengepfercht, innerhalb weniger Monate gemästet, geschlachtet, verarbeitet und ans andere Ende der Welt verschifft werden. Weniger bekannt sind die tödlichen Krankheitserreger, die in diesen spezialisierten Agrarumgebungen mutieren und sich ausbreiten. Tatsächlich lassen sich viele der gefährlichsten neuen Krankheiten beim Menschen auf solche Lebensmittelsysteme zurückführen, darunter Campylobacter, das Nipah-Virus, Q-Fieber, Hepatitis E und verschiedene neue Grippevarianten.
Die Agrarindustrie weiß seit Jahrzehnten, dass die Haltung Tausender Vögel oder Nutztiere auf engstem Raum zu einer Monokultur führt, die die Entstehung solcher Krankheiten begünstigt. Doch die Marktwirtschaft bestraft nicht die Unternehmen für die Züchtung von Grippeviren – sie bestraft Tiere, Umwelt, Verbraucher und Vertragslandwirte. Neben steigenden Gewinnen können Krankheiten ungehindert entstehen, sich weiterentwickeln und ausbreiten. „Das heißt“, schreibt der Evolutionsbiologe Rob Wallace, „es lohnt sich, einen Krankheitserreger zu produzieren, der eine Milliarde Menschen töten könnte.“
In „Big Farms Make Big Flu“, einer Sammlung von abwechselnd erschütternden und zum Nachdenken anregenden Berichten, verfolgt Wallace, wie Influenza und andere Krankheitserreger aus einer von multinationalen Konzernen kontrollierten Landwirtschaft entstehen. Mit präzisem und radikalem Witz beschreibt Wallace die neuesten Erkenntnisse der Agrarepidemiologie und stellt sie gleichzeitig grauenhaften Phänomenen wie Versuchen zur Züchtung federloser Hühner, mikrobiellen Zeitreisen und neoliberalem Ebola gegenüber. Wallace bietet zudem sinnvolle Alternativen zur tödlichen Agrarindustrie. Einige davon, wie landwirtschaftliche Genossenschaften, integriertes Krankheitsmanagement und gemischte Ackerbau- und Viehhaltungssysteme, werden bereits abseits der Agrarindustrie praktiziert.
Während viele Bücher Aspekte von Lebensmitteln oder Krankheitsausbrüchen behandeln, scheint Wallaces Sammlung die erste zu sein, die Infektionskrankheiten, Landwirtschaft, Ökonomie und die Naturwissenschaften gemeinsam untersucht. „Big Farms Make Big Flu“ verknüpft die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge von Krankheit und Wissenschaft, um ein neues Verständnis der Evolution von Infektionen zu gewinnen. Hochkapitalisierte Landwirtschaft züchtet möglicherweise ebenso viele Krankheitserreger wie Hühner oder Mais.
Veröffentlichungsdatum: 23. März 2021



